A dirty Job

Sie seufzt.
Dann schaltet sie die Webcam ihres Computers aus und lehnt sich zurück. Gähnt.
Klar, der Job ist lukrativ. Aber auch verdammt anstrengend.

Sie will sich nicht beschweren – bei wem denn auch?
Immerhin weiß sie, wo die nächste Miete herkommt. Und auch die Fachbücher für dieses Semester sind alle schon bezahlt.

Suche: lukrativen Nebenjob, der ein Studium finanziert.

Das ist jetzt fast ein Jahr ohne konstante Geldsorgen. Und sie weiß, dass sie immer noch einiges an Kohle liegen lässt – würde sie mehr Schichten schieben, ginge da mehr.
Zweimal die Woche geht sie vor die Cam.
Regelmäßigkeit ist wichtig. Ihre Kunden sollen sich darauf verlassen können, dass sie an bestimmten Tagen online ist.
Trotzdem war sie im letzten Monat ein bisschen nachlässig.

Wie hat das Ganze angefangen?
Ihre Situation war nicht ungewöhnlich: Studium, keine finanzielle Unterstützung von den Eltern, wahrscheinlich zu teure Stadt.
Zwei Semester lang war sie von Vorlesung zu Nebenjob und wieder zurück gerannt. Nie Zeit, immer müde und genug Geld ist trotzdem nicht hängengeblieben.

Bis eine Kommilitonin ihr auf einer Party nach zwei Drinks gesteckt hat, warum sie nicht nur nie pleite ist, sondern sogar in einen Bausparvertrag einzahlt.
“Naja, du ziehst dich da bisschen aus und die Typen schmeißen dir ihre Kohle nach. Easy.”
Hm.
“Musst ja auch nichts zeigen, was du nicht willst. Im Sommer biste ja auch oben ohne im Freibad.”
Stimmt schon, hatte sie gedacht. Was ist schon dabei?
Sie mag ihren Körper und Nacktheit ist auch nix, womit sie Probleme hat.

Mit Fotos hat alles angefangen.
Lächeln, im Bikini. Erst mit, einen Slide weiter dann ohne Oberteil.
Immer noch lächeln, Blick über die Schulter. Man sieht ihren Arsch, die Brüste nicht.
Grade noch so Instagram okay, solange der Tanga an bleibt.

Sie ist gerne sexy.
Ein bisschen flirten macht ihr Spaß, vor allem online und ohne Verpflichtung.

A dirty job

Finde: Karriere, die Studieren überflüssig macht.

Irgendwie ging dann alles ziemlich schnell.
Sie hat sich gefragt, wie sie die wachsenden Follower Zahlen nicht nur weiter steigern, sondern effektiv zu Geld machen kann.
Erotic Influencer.
Sexuelle Offenheit und ein extrovertiertes Wesen bringen dich anscheinend schon ziemlich weit.
Wenns um social Media geht auf jeden Fall. Gängigen Schönheitsideale zu entsprechen hilft, aber vor allem gehts darum, eine Nische zu finden.

“Verdammt, ich seh gut aus. Und Leute bezahlen dafür, mich anzugucken.” Und wieder: warum nicht?
Also ausprobieren, mit was sie sich wohl fühlt und wie weit sie gehen will.

So ist sie vor der Webcam gelandet. Camgirl.
Sie chattet, zeigt sich. Zieht sich ein bisschen aus. Manchmal auch nicht. Manchmal befriedigt sie sich selbst vor der Kamera.
Bezahlt wird sie von der Plattform, auf der sie arbeitet. Das Geld fließt pro Minute. Es gilt also, ihre Besucher möglichst lang im Chatroom zu halten.
Fällt ihr meist nicht schwer. Vor allem nicht mit Usern, die wiederkommen – es ist super einfach, wenn man sich kennt und der Small Talk nicht bei Null anfangen muss.
Die Schicht heute war zum Beispiel eine Gute. Einer ihrer Stammkunden ist aufgetaucht und sie hatten eine richtig gute Unterhaltung im Privat Chat.
Seine Partnerin ist letztes Jahr gestorben und er ist oft allein. Sie weiß, wie seine Katze heißt und welche Sendung er am liebsten anschaut.
Manchmal redet er über seine tote Frau und manchmal über sexuelle Fantasien.

Ihre Eltern wissen über ihre Arbeit als Camgirl Bescheid und versuchen, einigermaßen entspannt damit umzugehen. Jedenfalls soweit, dass sie keine direkte Kritik an der Sache ihr gegenüber äußern.
Aber ihren Freunden würden sie natürlich trotzdem nicht erzählen, womit die Tochter ihr Studium finanziert.
“Ich glaube“ denkt sie “Papa ist mein Job unangenehmer als Mama.”
Als müsste er in der Lage sein, für ihr Leben aufzukommen oder sie zu unterstützen, auch jetzt noch, obwohl sie erwachsen ist.
Damit sie das nicht machen muss. Das ist ohnehin das allgemeine Sentiment, auch unter ihren Freunden.
“Irgendwie absurd” denkt sie.
Klar, macht sie das für die Kohle.

Aber wer macht seinen Job nicht hauptsächlich wegen der Bezahlung? Vor allem mit Anfang zwanzig.

Und ehrlich: wenn sie sich so überlegt, was sie schon alles für Geld gemacht hat…ach, für Geld ist schon übertrieben.
Für einen verfluchten Minimallohn.
Studentenjobs sind Mist.
Jetzt kann sie wenigstens zuhause bleiben und ist außerdem flexibel. Wenn in einer Schicht nichts los ist in ihrem Chatroom liest sie Fachbücher.
Sie ist im Reinen mit sich.
Und was ihr Einkommen angeht kann sie die anderen Studierenden locker in die Tasche stecken.

So zufrieden, wie sie mit ihrem Tun ist, so stetig ist sie mit der Meinung der Gesellschaft konfrontiert.
Und eins steht fest: wenns um die Arbeit als Erotik Influencer geht, hat jeder eine. Und die wenigsten verstehen wovon sie reden.
Gleichzeitig sind die Meisten überzeugt, sie müssen ihre Ansichten ungefragt bei dir abladen.
Das strengt an.
Sie schüttelt den Kopf.

Ein bisschen mehr gesellschaftlicher Respekt wäre auch schön.
Schließlich ist das, was sie macht, mehr als ihren Hintern in die Kamera zu halten.
Das hier ist ein gut laufendes Geschäft. Und gleichzeitig eine one Woman Show.
Sie zeigt sich nicht nur vor der Webcam, Sie ist auch verantwortlich für Licht, Styling, die Einteilung ihrer Arbeitszeit und Manager ihrer Finanzen. Sie skaliert ihr Business, eröffnet sich Möglichkeiten und wenn das so weiter geht, wird sie Teil der Wenigen sein, die theoretisch in ihren Dreißigern aufhören können zu arbeiten.
Von leicht verdientem Geld kann trotzdem keine Rede sein.
Sexarbeiter*innen müssen was abkönnen. Ständiges Festlegen und Behaupten der eigene Grenzen in einem Umfeld, dass zu oft die Meinung vertritt, wer in der Erotik arbeitet, hätte keine. Oder kein Recht drauf.
Das sind die erschöpfenden Aspekte an der Arbeit als Camgirl.

Du bist Therapeutin, Gesprächspartnerin, süße Freundin und versaute Nymphomanin.
Das sagt dir auf TikTok natürlich keiner.

Und was geht mit der mangelnden Solidarität unter Frauen?
Dass einige Männer da nicht ganz durchsteigen und nicht verstehen, dass es einen Unterschied gibt zwischen unfreiwillig sexualisiert zu werden und sich dazu zu entscheiden, mit der eigenen Sexualität Geld zu verdienen.
Aber sollten nicht mindestens Frauen erfahrungsgemäß wissen, dass das nicht dasselbe ist?

Dann ist da noch dieses seltsame automatische Misstrauen gegenüber jedem und jeder in der Erotik Branche.
“Als ob ich dir den Typ ausspannen will. Ist das auch deine Sorge, wenn der allein ins Café geht?
Dass der Barista daraus ein persönliches Kaffee Date macht?
Das ist meine Arbeit, an deinem Kerl interessiert mich nur der Geldbeutel” denkt sie und seufzt nochmal.

Dann steht sie auf.
Geht in die Küche.
Setzt Kaffee auf.
Es wartet noch eine Hausarbeit und außerdem wärs cool, wenn sie es schafft noch ein paar Fotos für ihre zahlungspflichtige social Media Plattform zu schießen.
Wenn sie eins gelernt hat, dann, dass es sich lohnt, auf mehreren Seiten aktiv zu sein.
Side Hustle, Baby! Mach dir nie mehr Sorgen um Geld.
Sie lächelt.

Und wenn das mit dem Studium nichts wird…nein. Das hat sie sich fest vorgenommen. Das Studium wird fertig gemacht. Ob der Abschluss dann für ne Weile in der Schublade liegt ist auch egal. Aber schaffen will sie das auf jeden Fall.

Die Kommilitonin hat die Arbeit als Camgirl übrigens abgehakt. Einer ihrer Professoren hat sich als Viewer entpuppt und das war dann doch ein bisschen zu nah dran am echten Leben.